Meinung Verhütung
| Lesedauer: 3 Minuten
Von Marie-Luise Goldmann
Redakteurin im Feuilleton
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Politischer Protest kennt viele Formen. Man kann ihn singen, auf Plakate schreiben – oder verschenken. Letztere Option wählte die Sängerin Olivia Rodrigo, als es während ihres Konzerts in Missouri kostenlose Pillen danach zum Mitnehmen gab. Was es mit der Aktion auf sich hat.
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Nach einem Konzert der Popsängerin Olivia Rodrigo in Missouri konnten Fans diese Woche ein ganz besonderes Mitbringsel mit nach Hause nehmen. Statt Süßigkeiten oder Fan-Merchandise gab es danach Kondome und kostenlose Pillen. Was man als Werbung für ungeschützten Geschlechtsverkehr noch auf der After-Party oder auch als Frühsexualisierung von Teenagern (die 21-jährige Sängerin hat eine sehr junge Fanbase) missverstehen könnte, richtet sich gegen das Abtreibungsverbot, das die Republikaner in Missouri und vielen anderen amerikanischen Bundesstaaten infolge der Aufhebung von Roe v. Wade durchsetzten.
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Die Hormontabletten zur Notfallverhütung, die nach dem Geschlechtsverkehr einzunehmen sind (und somit in Vergewaltigungsfällen oft die einzige Verhütungsmöglichkeit darstellen), kosten in den USA etwa 50 Dollar. Rodrigo, Gründerin der Kampagne Fund 4 Good, setzt sich mit einem Teil der Einnahmen durch ihre Konzerte für die Reproduktionsrechte von Frauen ein.
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Es handelt sich um eine der originelleren Antworten auf die Frage, wie politisch Künstler, Sänger, Schauspieler oder Schriftsteller sein sollten. Und zwar nicht nur innerhalb ihrer Kunst, sondern auch jenseits von ihr, etwa während Oscar-Preisreden oder in Instagram-Posts. Taylor Swift, heißt es, könnte die nächste Präsidentschaftswahl entscheiden. Aber bislang riet sie ihren Fans nur, wählen zu gehen, verzichtete jedoch darauf, zu empfehlen, bei wem sie ihr Kreuz setzen sollten. Billie Eilish trug während der Oscar-Verleihung einen roten „Cease Fire“-Pin, dessen genaue Bedeutung umstritten ist.
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Andere Stars verschmähen Orte, die nicht mit ihren Werten übereinstimmen. Doch indem Rodrigo den Bundesstaaten, die Schwangerschaftsabbrüche kriminalisieren, einen Besuch abstattet, umgeht sie das typische Boykott-Problem, das darin besteht, dass es oft die Falschen trifft, nämlich die, die ohnehin schon unter den Gesetzen ihres Landes leiden. Stattdessen trägt sie ihre Hilfe dorthin, wo sie am nötigsten ist. Obwohl Schwangerschaftsabbrüche und die Pille danach erst einmal in keinem direkten Verhältnis zueinander stehen, kann die Pille danach einem helfen, gar nicht erst in eine Situation zu geraten, in der das Abtreibungsverbot relevant wird – weil es dank des Levonorgestrels gar nicht erst zu einer Schwangerschaft kommt.
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Die Frage, ob es sich bei Rodrigos Aktion um eine fahrlässige Verharmlosung hormoneller Medikamente handelt, stellt sich nicht. Auch nicht, wenn man bedenkt, dass die beim Konzert ausgehändigte Startup-Marke laut Bericht im „Guardian“ einen Image-Wechsel der Pille danach als „süß und bunt, nicht wie die klinischer-aussehenden Optionen“ anvisiert. Denn die Stufe der Entwicklung, auf der Kritik an der Überpräsenz hormoneller Substanzen angemessen scheint, hat Missouri wieder hinter sich gelassen. Hier kämpfen junge Frauen wieder wie Feministinnen der alten Schule. Vielleicht hilft der Blick über den Ozean ja, sich mit der kleinen Tablette zu versöhnen, statt sie, wie es hierzulande verstärkt geschieht, pauschal als Unterdrückungsinstrument der Frau zu verteufeln.
„It’s a bad idea, right?“, heißt einer von Rodrigos Songs, die sich oft um Liebe, Beziehungen und Trennungen drehen. Ein anderer heißt „F*** you“, ein Cover des Lily-Allens-Lieds, das die beiden 2022 gemeinsam beim Glastonbury Festival performten und den Richtern des US-amerikanischen Supreme Courts widmeten, der sich „einen Dreck um Freiheit schere“: „Ich bin erschüttert. So viele Frauen und Mädchen werden deswegen sterben.“
